Veranstaltung: | Landesmitgliederversammlung Hamburg |
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Tagesordnungspunkt: | 9 Anträge |
Antragsteller*in: | Linda Heitmann |
Status: | Geprüft |
Verfahrensvorschlag: | Abstimmung |
Eingereicht: | 04.04.2024, 20:10 |
A12: Hamburg gibt Impulse: für bessere Gesundheitsversorgung und Suchtkrankenhilfe für Menschen in Haft
Antragstext
Circa 5300 Personen befanden sich in Hamburg laut einer Erhebung 2022 in Haft
–bundesweit sind es rund 55.000 Menschen. Dabei bewegt sich der Anteil von
inhaftierten Frauen laut statista recht kontinuierlich bei ca. 5%.
In den letzten vier Jahren hat die grün geführte Justizbehörde viel für die
Verbesserung der Situation von Menschen in Haft getan. In der Corona-Pandemie,
die auch den Justizvollzug vor ähnlich große Herausforderungen gestellt hat wie
Alten- und Pflegeheime, wurde durch schnelles und umfassendes Handeln das
Infektionsgeschehen klein gehalten und eigene Impfaktionen für Bedienstete und
Beschäftigte haben dafür gesorgt, dass auch bei einer Infektion Schutz vor
schlimmen Krankheitsverläufen bestand.
Doch neben diesen pandemiebedingten Maßnahmen, ist in dieser Zeit auch viel
vorangebracht worden, was langfristig wirkt. Dazu gehören Videobesuche, die
zusätzlich zum normalen Besuch möglich sind, die Einführung der
Haftraumtelefonie, die das Telefonieren mit Privatsphäre ermöglichen und dazu
noch deutlich günstiger, als das früher der Fall war. Die regelhafte Ausstattung
mit Radio und Fernseher verbessern ebenfalls die Situation. Da, wo es möglich
ist wurden im Rahmen von Sanierungsmaßnahmen verstärkt Möglichkeiten geschaffen,
alleine zu duschen und die großen Schlafsäle von bis zu sechs Personen gehören
der Vergangenheit an.
Ganz besonders stehen neben weiteren baulichen Veränderungen in der
Justizvollzugslandschaft derzeit die Menschen im Vollzug im Fokus, die mit
psychischen oder psychiatrischen Auffälligkeiten oder Diagnosen besondere
Unterstützung brauchen. Dabei spielen auch Suchterkrankungen eine erhebliche
Rolle.
Für uns Grüne ist klar: Wir wollen, dass die Menschen die Zeit, die sie in Haft
verbringen müssen, bestmöglich nutzen können sollen, um wieder auf die Beine zu
kommen und neue Perspektiven entwickeln zu können. Hamburg gehört zu einem der
wenigen Bundesländer, die ein Operhilfe- und Resozialisierungsgesetz haben und
dieses derzeit wissenschaftlich evaluiert.
Psychische und psychiatrische Erkrankungen nehmen in unserer Gesellschaft seit
Jahren zu. Diese Entwicklung spiegelt sich auch im Justizvollzug. Deshalb hat
die Justizbehörde verschiedene Maßnahmen ergriffen. Neben einer Studie zum Thema
Suizide im Vollzug, wurde Versorgung der Inhaftierten durch mehr Psycholog*innen
gestärkt; die Arbeitstherapie wird gerade neu aufgebaut und Hamburg startet im
April ein Projekt „Versorgung psychisch erkrankter Inhaftierter im
Justizvollzug“ gemeinsam mit UKE. Dieses Projekt dient der Vorbereitung der
Einrichtung einer psychiatrischen Kurzzeitstation im Zentralkrankenhaus.
Gute Gesundheitsversorgung ist eine zentrale Säule der Resozialisierung
Die medizinische Versorgung hat im Hamburgischen Justizvollzug einen hohen
Stellenwert. Eine Vielzahl von Inhaftierten erhalten im Vollzug erstmals
überhaupt eine umfassende medizinische Versorgung.
Im Justizvollzug gilt das Äquivalenzprinzip: das bedeutet, Gefangene haben einen
gleichwertigen Anspruch auf medizinische Versorgung wie gesetzlich
Krankenversicherte außerhalb des Justizvollzuges[1]. Medizinische
Untersuchungen, Beratungen und Behandlungen von Strafgefangenen werden in
Deutschland durch die Justizkassen der jeweiligen Länder, in denen Menschen
inhaftiert sind, getragen.
De facto haben Gefangene damit häufig eine sehr gute Versorgung, weil es im
Vollzug eine hohe Facharztdichte gibt und häufig sehr viel kürzere Wartezeiten
als außerhalb des Vollzuges. Durch die enge Verzahnung der Disziplinen und die
„kurzen Wege“ ist eine bestmögliche Versorgung der Patient*innen sichergestellt.
Es gibt 24/7 einen ärztlichen Anwesenheitsdienst, welcher jederzeit die
Versorgung der Inhaftierten sicherstellen kann. Im Übrigen unterscheidet der
Justizvollzug nicht zwischen Menschen mit (vorheriger) KV-Mitgliedschaft und
ohne. Das heißt, dass auch Menschen ohne ausländerrechtlichen Status bzw. ohne
Fiktionsbescheinigung und damit ohne Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen KV
für medizinische Behandlungen in Haft gleichgestellt sind.
Doch gibt es auch Themen, wo wir die Zeit in Haft besser umfassender nutzen
könnten. Unser Anliegen ist es, sicherzustellen, dass gesundheitliche Versorgung
in Haft tatsächlich zu jedem Zeitpunkt und im Falle jeder Erkrankung mindestens
so gut ist wie in Freiheit und dass außerdem die Übergange zwischen Inhaftierung
und Rückkehr in den Alltag optimal gelingen.
Daher wollen wir dieses Thema landes- und bundespolitisch weiter voranbringen:
Eine gute Datenbasis bundesweit braucht es als Grundlage für stetige
Verbesserungen
Eine Große Anfrage der Regierungsfraktionen (Drs. 22/12329) in Hamburg aus Juli
2023 gibt einen guten Überblick über die derzeitige Situation und zeigt auf,
dass insbesondere in den Themenfeldern der psychischen Gesundheit sowie in Bezug
auf Sucht- und Infektionserkrankungen bei Inhaftierten großer Handlungsbedarf
besteht. Denn gerade von diesen Erkrankungen sind Inhaftierte
überdurchschnittlich häufig betroffen.
Stoffgebundene Suchterkrankungen werden zu Beginn der Haft im Rahmen der
Eingangsuntersuchung in Hamburg regelhaft erfasst und dokumentiert, sofern die
Untersuchten sie zugeben oder sie offensichtlich sind. Bei insgesamt 1873 in
Hamburg inhaftierten Personen wurde laut Anfrage mit Stichtag 31.März 2023
demnach eine Substanzabhängigkeit diagnostiziert. Dies entspricht etwa 29% aller
Gefangenen. Nicht erfasst werden in der Eingangsuntersuchung und in der
Statistik insgesamt bisher stoffungebundene Süchte wie die Abhängigkeit von
Glücksspiel.
Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie (DGPPN)
hat kürzlich dem Strafvollzugsausschuss der Länder ein neues Erhebungsinstrument
vorgestellt, welches nun erstmals bundesweit eingesetzt wird.
Die landesweite Datenerhebung zur Erfassung von Daten zu psychisch erkrankten
Inhaftierten startete im März 2024. Mithilfe der wissenschaftlich fundierten
Datenbasis der DGPPN wird es künftig nun besser möglich sein, bundesweit
Empfehlungen für die Arbeit im Justizvollzug abzuleiten.
Wir wollen, dass Hamburg sich im Strafvollzugsausschuss der Länder dafür
einsetzt, dass auch über die jetzige Datenerhebung hinaus künftig regelmäßig und
bundesweit standardisiert Daten erhoben werden, um somit fortlaufend die
Entwicklungen vergleichend analysieren und Maßnahmen ableiten zu können. Hierbei
sollen neben stoffgebundenen auch anerkannte stoffungebundene Süchte wie
Glücksspielabhängigkeit mit einbezogen und in geeigneter Weise erfasst werden.
Infektionskrankheiten eindämmen – konsequent auch in Haft!
Die WHO hat in Bezug auf die Infektionskrankheiten HIV und Hepatitis C das Ziel
ausgegeben, dass diese möglichst bis 2030 weltweit eliminiert sein sollten,
Deutschland hat sich diesem Ziel mit verpflichtet. Um daran ernsthaft zu
arbeiten, ist es dringend notwendig, die Infektionskrankheiten schnell zu
erkennen und zu behandeln, damit sie durch die Infizierten nicht unwissentlich
weiter übertragen werden. Infektionen über ungeschützten Geschlechtsverkehr oder
verunreinigte Utensilien bei intravenösem Drogenkonsum sind die häufigsten
Übertragungswege bei HIV und Hepatitis C und Inhaftierte sind von diesen
Infektionskrankheiten leider überdurchschnittlich oft betroffen. Bezüglich
Hepatitis C schätzt man, dass in Deutschland ca. 0,25% der Bevölkerung infiziert
sind, während der Anteil der Infizierten speziell unter Inhaftierten bei
vermuteten 2-3% liegt. Auch in Bezug auf HIV gibt es Schätzungen, dass die
Infektionsraten in Haft etwa 20-mal höher sind als in der Allgemeinbevölkerung.
Es ist somit elementar – auch um die WHO-Ziele zu erreichen – dass gerade diese
Menschen direkt im Rahmen der Eingangsuntersuchung möglichst flächendeckend
getestet und dann im Infektionsfall auch schnell behandelt werden. Denn es ist
im Sinne von uns allen als Bevölkerung, dass diese Infektionskrankheiten nicht
unentdeckt bleiben und dann möglicherweise in der Haft selbst oder nach einer
Entlassung in Freiheit wieder weitergetragen werden.
In Hamburg werden nach Auskunft der Justizbehörde in der Anfrage 22/12329 alle
Inhaftierten „mit entsprechendem Risikoprofil und/oder auf Wunsch“ im Rahmen der
Eingangsuntersuchung auf HIV, Hepatitis B, Hepatitis C und Syphillis getestet.
Um möglichst niemanden zu übersehen, sollten diese Testungen künftig allen
Inhaftierten angetragen werden – und zwar nicht nur in Hamburg, sondern
bundesweit in sämtlichen Haftanstalten. Dafür soll Hamburg sich im
Strafvollzugsausschuss der Länder einsetzen.
Wird im Rahmen der Untersuchung tatsächlich eine Infektionskrankheit
festgestellt, so muss es vorrangiges Ziel sein, möglichst schnell mit einer
Behandlung zu beginnen, damit diese nicht weitergetragen werden kann. In
Hamburger Justizvollzugsanstalten wurden nach den Auskünften in der Großen
Anfrage im Jahr 2022 insgesamt 99 Personen mit HIV-Infektion, 15 mit Hepatitis
Bund 3 mit Hepatitis C behandelt. Leider gibt es insbesondere in Bezug auf
Hepatitis C keine Auskunft dazu, bei wievielen Personen zwar eine Infektion
festgestellt wurde, aber keine Behandlung erfolgte. Denn laut Justizbehörde
erfolgt die Behandlung insbesondere dann, wenn absehbar ist, dass die Person
mindestens für die Dauer der Behandlung auch noch in Haft sein wird.
Uns ist es wichtig, dass wirklich sämtlichen Inhaftierten, bei denen die
Infektionen festgestellt wird, möglichst schnell eine Behandlung ermöglicht
werden kann. Sofern der Zeitpunkt der Entlassung aus der Haft voraussichtlich in
den Behandlungszeitraum fällt, darf dies kein automatischer Ausschlussgrund
sein. Es soll im Einzelfall geprüft werden, wie in Zusammenarbeit mit den
behandelnden Ärzten und der Fachstelle Übergangsmanagement, dafür gesorgt werden
kann, dass die Therapie auch nach Haftentlassung möglichst abgeschlossen wird.
Die Kosten hierfür sind von der Gesundheitsbehörde zu tragen.
Insgesamt ist die Behandlung von Infektionskrankheiten in Haft nicht günstig –
für regulär Krankenversicherte summieren sich die Kosten allein für die
Medikamente einer modernen Hepatitis C– Therapie auf ca. 60.000 Euro. Dabei ist
allerdings zu berücksichtigen, dass die Krankenkassen mit den Herstellern in der
Regel Rabattverträge abschließen.
Müssen die Medikamentenkosten hingegen bei Inhaftierten durch die Justizkassen
getragen werden, können die Kosten durchaus noch einmal signifikant höher sein.
Hersteller entsprechender Medikamente sollten sich daher verpflichten, diese
auch für die Behandlung von Menschen in Haft mindestens zu den gleichen Preisen
abzugeben. Noch wünschenswerter wäre sogar eine noch günstigere Abgabe, damit
die hohen Kosten auch für die Staatskasse nicht als übermäßige Belastung
empfunden werden und infizierte Inhaftierte tatsächlich auch zur Therapie
ermutigt werden.
Suchterkrankungen: Therapien und Substitution bestmöglich individuell
ermöglichen
Circa 29% aller in Hamburg Inhaftierten weisen nach den Auskünften in der Großen
Anfrage 22/12329 eine Suchterkrankung auf. Dabei hat über die Hälfte dieser
Personen einen multiplen Substanzgebrauch, das heißt, dass regelmäßig mehrere
Suchtmittel konsumiert werden und nicht eine einzige Substanz klar abgegrenzt
werden kann, von der die Abhängigkeit besteht. Etwa 6% der Inhaftierten sind
hingegen nach der Auskunft reine Opioid-Abhängige, bei jeweils 3% der Gefangenen
in Hamburg bestehen eindeutig diagnostizierte Abhängigkeiten jeweils von Alkohol
und Cannabinoiden.
Gerade für all jene, die von Opioiden abhängig sind, ist die Ermöglichung oder
auch Weiterführung einer bereits begonnenen Substitutionstherapie elementar
wichtig. Dafür müssen sämtliche Bundesländer es rechtlich verankern, dass in
ihren Haftanstalten mit allen Substituten auch substituiert werden darf, damit
die Inhaftierten jeweils die für sie beste Therapiemöglichkeit bekommen. Auch
eine Substitution mit Diamorphin gilt es zu ermöglichen, wenn diese von den
Inhaftierten gewünscht ist und alle Voraussetzungen dafür nach
Betäubungsmittelverschreibungs- Verordnung erfüllt sind.
Suchtberatung in Haft ist darauf ausgerichtet, mit den Inhaftierten
auszuloten,welche Entzugs- und Therapiemöglichkeiten für sie bestehen und sie
daraufvorzubereiten. Alle Inhaftierten müssen zu jedem Zeitpunkt der Haft Zugang
zuSuchtberatungsangeboten haben.
Ein wichtiger Hebel, um sie in Therapie zu vermitteln ist eigentlich der §35 des
Betäubungsmittelgesetzes (BtMG), der auch unter dem Titel „Therapie vor Strafe“
bekannt ist. Er regelt Folgendes: Ist jemand wegen einer Straftat zu einer
Freiheitsstrafe von nicht mehr als zwei Jahren verurteilt worden und ergibt sich
aus den Urteilsgründen oder steht sonst fest, dass er die Tat aufgrund einer
Betäubungsmittelabhängigkeit begangen hat, kann die Vollstreckungsbehörde mit
Zustimmung des Gerichts die Vollstreckung der Strafe, eines Strafrestes oder der
Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für längstens zwei Jahre
zurückstellen.
Auf Initiative Hamburgs hat sich die Justizministerkonferenz im Frühjahr 2022
mit der Zurückstellung der Strafvollstreckung bei Abhängigkeitserkrankungen
vertieft befasst und dazu Beschlüsse gefasst. So wurde das
Bundesjustizministerium unter anderem gebeten zu prüfen, wie auch in Fällen von
nicht unter § 35 BtMG fallenden Abhängigkeitserkrankungen eine Zurückstellung
der Strafvollstreckung zur Behandlung der Abhängigkeitserkrankungen zu
ermöglichtwerden kann.
Leider ist der Bundesjustizminister dieser Bitte nicht nachgekommen, woraufhin
der Bundesrat auf Initiative Hamburgs diese Aufforderung ebenfalls beschlossen
hat.
Diese Prüfbitte hat die BReg dahingehend beantwortet, dass sie eine Ausdehnung
des Instrumentariums der §§ 35 ff. BtMG für alle stoffgebundenen oder nicht
stoffgebundenen Suchtmittelabhängigkeiten nicht für angezeigt hält (Drucksache
20/5913 vom 6. März 2023).
Damit wurde eine Chance vertan, dieses wichtige Instrument zum Beispiel auch für
die weit verbreitete Alkoholsucht oder Glücksspielsucht zur Anwendung zu
bringen. Und auch die Substanz Cannabis fällt jetzt nicht mehr unter das BtMG,
so dass es dafür ebenfalls dieser Reform bedarf.
Hinzu kommt in Bezug auf den §35 BtMG zudem, dass den Ländern die Anwendung
dadurch erschwert wird, dass sich Krankenkassen aus der Verantwortung ziehen und
die Kosten nicht tragen wollen. Zum Zeitpunkt der Beantragung sind die
Inhaftierten noch in Haft und nicht krankenversichert, doch sobald sie in eine
Therapie wechseln, kommen sie in den Bürgergeldbezug und damit wieder in ein
Krankenversicherungsverhältnis.
Die Streitigkeiten zwischen den Kostenträgern über den Übergang von der Haft in
Therapie verhindern momentan in vielen Fällen eine Therapieaufnahme.
Der Bundesrat hat kürzlich eine Initiative beschlossen, die hier eine
gesetzliche Klarstellung vorsieht, um eindeutig die Krankenkassen bei der
Finanzierung in die Pflicht zu nehmen. Hamburg hat das unterstützt und als Grüne
unterstützen wir dieses Anliegen nachdrücklich. Wir wollen, dass diese
Klarstellung nun schnell auch im Bundestag beschlossen wird, damit sie wirksam
und die Betroffenen endlich wieder aus der Haft in Therapie kommen. Auch für
Substituierte muss das möglich sein.
Als Grüne können wir uns auch gut vorstellen, das bestehende System der
Kostentragung grundsätzlich zu überprüfen mit dem Ziel, grundsätzlich alle
Inhaftierten über die gesetzlichen Krankenkassen zu versichern. Dies würde an
sehr vielen Stellen mehr Sicherheit, Stabilität und Entlastung für die
Betroffenen,den Justizvollzug und das Übergangsmanagement bedeuten.
Psychische Gesundheit –Ausbau des Maßregelvollzugs sowie Etablierung neuer
Konzepte in den verschiedenen Haftformen
Psychische Gesundheit ist eine Grundvoraussetzung für ein Leben in Freiheit und
damit ist die gute Behandlung psychischer und psychiatrischer Erkrankungen von
Inhaftierten ein wichtiger Faktor zur Resozialisierung. Straftäter*innen mit
schweren psychischen Erkrankungen und Suchterkrankungen, deren Taten auch auf
diese Erkrankungen klar zurückzuführen sind, werden bei der Verurteilung häufig
in den so genannten Maßregelvollzug ‚geschickt‘. Der Maßregelvollzug fällt
offiziell auch in die Zuständigkeit der Gesundheits- oder Sozialministerien, da
er darauf ausgelegt ist, im geschlossenen Setting vorrangig die Erkrankungen zu
behandeln. In allen Bundesländern sind allerdings die Zahlen der Straftäter, die
in den Maßregelvollzug kommen, in den letzten Jahrzehnten stark gestiegen.
Die Sozial- und Gesundheitsbehörden haben hierfür keine Vorsorge getroffen und
hinken den Entwicklungen hinterher. Deshalb gibt es vielfach das Bestreben, die
Unterbringung dieser Personen dem Strafvollzug aufzuerlegen. Zurzeit ist dies
leider häufig der Fall, denn steht kein Platz im Maßregelvollzug zur Verfügung,
müssen die Personen in Amtshilfe im Justizvollzug untergebracht werden. Zudem
hat eine bundesweite Reform in 2023 die Einweisung speziell suchtkranker
Straftäter*innen in den Maßregelvollzug noch einmal erschwert. Das ist jedoch
klar der falsche Weg!
Es gibt einen guten Grund, warum der Gesetzgeber zwischen Maßregelvollzug und
Strafvollzug unterscheidet. Auch wenn beides in der Regel ein geschlossenes
Setting bietet, sind die Möglichkeiten, Fähigkeiten und die Ausbildung des
Personals sehr verschieden. Der Justizvollzug kann und soll den Maßregelvollzug
künftig nicht ersetzen. Vielmehr sind die Plätze im Maßregelvollzug
bedarfsgerecht auszubauen und dadurch die Justizvollzugsanstalten zu entlasten!
In Hamburg lösen wir dieses Thema solidarisch. Die Sozialbehörde treibt
engagiert den Platzausbau voran und die Justizbehörde hat der Sozialbehörde in
der Übergangszeit eine Station des Zentralkrankenhauses zur Verfügung gestellt,
sodass dort eine eigene Station des Maßregelvollzugs betrieben werden kann. Im
Anschluss wird die Justizbehörde dort eine psychiartrische Kurzzeitstation
einrichten für die Gefangenen, die unter der Haft besondere Auffälligkeiten
zeigen und mehr brauchen als bislang anstaltsintern angeboten werden.
Zudem hat die DGPPN im Februar 2024eine Task-Force Gefängnispsychiatrie
eingerichtet, um psychisch erkrankte Inhaftierte ins Versorgungsfeld zu rücken
und eine Annährung von Allgemeinpsychiatrie, forensischer Psychiatrie und
Gefängnispsychiatrie zu erlangen. Hamburg nimmt mit Vertreter:innen der BJV,
Justizvollzug und Psychiatrie an der Task-Force Gefängnispsychiatrie teil.
Die Personalgewinnung wird ein zentraler Erfolgsfaktor für die Zukunft werden.
Deshalb setzen wir uns dafür ein, dass die Arbeit mit diesen besonders
herausfordernden Personengruppen und dem besonderen Arbeitsumfeld künftig besser
vergütet wird. Wir begrüßen, dass Hamburg die Möglichkeiten geschaffen hat, auch
Pflegekräfte im Justizvollzug zu verbeamten.
Im Bund sollte sich Hamburg ressortübegreifend dafür stark machen, dass die
ärztliche Versorgung Inhaftierter regelhaft ins Medizinstudium integriert wird,
um so auch mehr angehende Mediziner*innen dafür zu begeistern.
Sanfter Übergang in Freiheit – mit nahtloser Gesundheitsversorgung
Die medizinische Versorgung bei Haftbeginn konzentriert sich auf die Erfassung
der Suchterkrankung, ggf. Entgiftung, ggf. Substitution sowie die medizinische
Versorgung begleitender somatischer und psychiatrischer Komorbiditäten. Im
weiteren Verlauf werden regelmäßige suchtmedizinische beziehungsweise nach
Entgiftung reguläre primärärztliche Sprechstunden angeboten. Jeweils von dort
aus ist die Überweisung zu Fachärzt:innen der Psychiatrie und anderer
Fachrichtungen möglich.
Externe Suchtberatungen sind in Hamburg mehrmals in der Woche vor Ort in den
Justizvollzugsanstalten und beraten alle Inhaftierten und Untergebrachten, die
sich zur Sprechstunde oder zu einer Gruppe anmelden. In jeder Hamburger
Justizvollzugsanstalt sind Ansprechpartner*innen im Vollzugsdienst
hauptverantwortlich für die externen Suchtberatungsstellen zuständig und sichern
die reibungslosen Abläufe in der Zusammenarbeit.
Für die Substituierten mit einem gesetzlichen Krankenversicherungsschutz vor
Haftbeginn erfolgt der nahtlose Übergang in die weitere Substitutionsbehandlung
im Stadtstaat Hamburg durch die Kooperation mit der Substitutionsambulanz Altona
sehr gut.
Hier wäre es wichtig, dass dies künftig auch für Menschen gelingt, die vor
Haftantritt nicht der gesetzlichen Krankenkasse angehörten und dass nahtlose
Übergänge auch in allen anderen Bundesländern gut sichergestellt sind.
Der Hamburger Justizvollzug, das Übergangsmanagement und das
Integrationscoaching der Teilanstalt für Frauen unterstützen die Inhaftierten
bei der Kommunikation mit den Krankenkassen und versuchen, einen möglichst
nahtlosen Übergang in die gesetzliche Krankenversicherung zu erreichen. Den
Inhaftierten werden entsprechend Unterlagen ausgehändigt. Bei Bedarf wird
Hilfestellung bei dem Ausfüllen und Versenden an die Krankenkassen
gewährleistet. Die Inhaftierten werden zudem schriftlich über die erneute
Inanspruchnahme von Krankenversicherungsleistungen informiert. Mit diesen
Unterlagen und dem Entlassungsschein müssen die Inhaftierten dann Kontakt zu
ihrer Krankenkasse aufnehmen, um den Krankenversicherungsschutz zu erneuern.
Strafgefangene werden nach den Vorgaben des HmbResOG sechs Monate vor und sechs
Monate nach der Haftentlassung durch Fallmanager*innen des Übergangsmanagements
auch hinsichtlich der Erlangung eines Krankenversicherungsschutzes betreut.
In der Untersuchungshaft hat Hamburg in diesem Jahr zudem ein bundesweit
einmaliges Angebot geschaffen. Da in der Untersuchungshaft die
Unschuldsvermutung gilt, gibt es hier üblicherweise deutlich weniger
Hilfestellung als in der Straftat. Dabei erfahren die Inhaftierten hier einen
großen Bruch mit ihrem bisherigen Leben, die Unsicherheit die mit dem
ausstehenden Prozess verbunden ist belastet zusätzlich und gerade, weil hier die
Unschuldsvermutung gilt und jemand auch zu Unrecht Untersuchungshaft erleiden
könnte, braucht es besondere Hilfestellung. Diese stellt Hamburg jetzt mithilfe
eines externen Trägers in Form von Übergangscoaches zur Verfügung, die mit den
Inhaftierten an ihren Problemen arbeiten. Das kann Suchterkrankungen,
Familienprobleme, Schulden oder auch die Klärung des ausländerrechtlichen Status
betreffen.
Insgesamt ist für uns klar: Insbesondere für eine nahtlose Gesundheitsversorgung
ist es wichtig, dass der Übergang von der Haft in die Freiheit nahtlos verläuft
und der Wechsel in der Zuständigkeit des Kostenträgers von den Justizkassen zur
Krankenversicherung keinen großen Umbruch für die Betroffenen mit sich bringt.
Wir wollen uns deshalb bundesweit dafür stark machen, dass gerade Menschen, die
regelmäßige Medikation und Behandlung brauchen, nicht zum Wochenende hin
entlassen werden. Denn wer Freitag Nachmittag frei kommt und dann erstmal
mindestens 2 Tage keine Arztpraxis und keine Behörde erreicht, kommt häufig
bereits direkt in diesem Zeitraum wieder in gesundheitliche Schwierigkeiten.
Gerade auch bei Substituierten finden dann besonders häufig Rückfälle und leider
auch Überdosierungen mit Substanzen vom Schwarzmarkt mit Todesfolge statt. Das
muss nicht sein!
Hier die wichtigsten Forderungen aus diesem Antrag noch einmal im Überblick –
wir wollen:
- Eine ernsthafte Prüfung der rechtlichen Möglichkeiten, Inhaftierte in
Deutschland regulär krankenversichern, um darüber eine äquivalente
Versorgung bei sämtlichen Erkrankungen und Therapien zu gewährleisten.
- Deutschlandweit auch auf Grundlage des gerade in der Erprobung
befindlichen neuen Erhebungsinstruments der DGPPN eine einheitliche
Datenbasis zum Gesundheitszustand Inhaftierter schaffen, um darauf
aufbauend gemeinsam bundesweit an verbesserten Behandlungs- und
Therapiemöglichkeiten zu arbeiten.
- Einbeziehung von Glücksspielsucht und anderen anerkannten
stoffungebundenen Süchten bundesweit und auch in Hamburg in die Statistik.
- Flächendeckendes Testangebot für Inhaftierte auf Infektionskrankheiten
direkt zu Beginn der Haft – auch für jene, die bisher noch nicht als
Risikogruppen eingestuft sind.
- Konsequente Behandlung von Infektionskrankheiten direkt nach der Diagnose
– unabhängig davon, ob der Behandlungszeitraum ggf. über den Zeitraum der
Inhaftierung hinausgeht. Sofern dies geschieht, muss eine
Anschlussfinanzierung durch das Gesundheitsamt gesichert erfolgen.
- Verhandlungen mit den Krankenkassen über Rabatte für Medikamente, um
gerade für kostspielige Medikamente mindestens die gleichen Konditionen zu
haben wie große Krankenkassen.
- Bedarfsgerechten Ausbau des Maßregelvollzugs
- Konsequenter dauerhafter Zugang zu Suchtberatung in Haft nach Hamburger
Vorbild für alle Inhaftierten bundesweit.
- Reform des §35 BtMG („Therapie vor Strafe“), um die Kostenträgerschaft der
Therapie sowie den Zugang zur Therapie auch für Substituierte
klarzustellen.
- Schaffung einer zu §35 BtMG äquivalenten neuen bundesweiten gesetzlichen
Grundlage außerhalb des Betäubungsmittelgesetzes, die auch den Zugang zu
Therapie für Suchtkranke sicherstellt, die von Substanzen oder
Verhaltensstörungen abhängig sind, welche nicht unter das BtMG fallen.
- Bundesweit verpflichtende Kooperationen zwischen Haftanstalten und
psychotherapeutischen externen Behandlungsangeboten, die eine schnelle
gute psychotherapeutische Versorgung Inhaftierter in kurzer Zeit
sicherstellen.
- Einsatz für eine regelhafte Einbeziehung der Behandlung von Menschen in
Haft ins Medizinstudium, um mehr angehende Ärzt*innen hierfür zu gewinnen.
- Sicherstellung eines nahtlosen Übergangs bei der gesundheitlichen
Versorgung von der Haft in die Freiheit bundesweit – dafür möglichst keine
Entlassungen von Menschen in dauerhaftem Behandlungssetting zum Wochenende
hin!
Begründung
Neufassung des Antrags mit Präzisierungen und Ergänzungen. Doch das Ziel bleibt gleich: Forderungen schärfen und detailliert erläutern, die in Bürgerschafts- und vor allem auch Bundestagswahlprogramm einfließen sollen.
Unterstützer*innen
- Gudrun Schittek (KV Hamburg-Harburg)
- Jasper Ole Felix Kiehn (KV Hamburg-Nord)
- Michael Gwosdz (KV Hamburg-Eimsbüttel)
- Carl Jannes Neuse (KV Hamburg-Altona)
- Anna Gallina (KV Hamburg-Eimsbüttel)
- Linus Görg (KV Hamburg-Wandsbek)
- Julia Hecker (KV Hamburg-Altona)
- Mareike Engels (KV Hamburg-Altona)
- Lena Zagst (KV Hamburg-Mitte)
- Michael Gümbel (KV Hamburg-Mitte)
- Alske Rebekka Freter (KV Hamburg-Nord)
- Angela Fechner (KV Hamburg-Nord)
- Falk Schmidt-Tobler (KV Hamburg-Eimsbüttel)
- Sonja Lattwesen (KV Hamburg-Mitte)
- Monika Linek (KV Hamburg-Nord)
- Uwe Halpap (KV Hamburg-Wandsbek)
- Otfried Hilbert (KV Hamburg-Wandsbek)
- Lars Boettger (KV Hamburg-Altona)
- Ursula Jäger (KV Hamburg-Eimsbüttel)
- Amelie Schürmann (KV Hamburg-Eimsbüttel)
- Thomas Maack (KV Hamburg-Harburg)
- Gabriele Schlenger (KV Hamburg-Eimsbüttel)
- Selina Lea Sophie Storm (KV Hamburg-Altona)
- Jim Martens (KV Hamburg-Eimsbüttel)
- Malte Deutschmann (KV Hamburg-Eimsbüttel)
- Mechthild Weber (KV Hamburg-Wandsbek)
- Lena Schwarzer (KV Hamburg-Eimsbüttel)
- Ulrich Paulsdorff (KV Hamburg-Eimsbüttel)
- Beate Seelis (KV Hamburg-Nord)
- Kathrin Engel (KV Hamburg-Eimsbüttel)