Veranstaltung: | Landesmitgliederversammlung Hamburg |
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Tagesordnungspunkt: | 9 Anträge |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Landesmitgliederversammlung |
Beschlossen am: | 27.04.2024 |
Antragshistorie: | Version 2 |
(Post)Koloniale Erinnerungskultur in Hamburg stärken, Forschungsstelle „Hamburgs (post)koloniales Erbe“ der Universität Hamburg sichern und verstetigen
Beschlusstext
Deutschland war 1914 das drittgrößte Kolonialreich der Welt. Es richtete 1884
die so genannte „Afrika-Konferenz“ aus, die die Aufteilung des afrikanischen
Kontinentes unter den europäischen Mächten organisierte. Deutschland trägt
deshalb eine besondere Verantwortung gegenüber dem Globalen Süden, die
Geschichte des Kolonialismus aufzuarbeiten.
Hamburg – mit seinem Hafen, den Reedereien und Kaufleuten – und Berlin – als
Sitz der Regierung, die die Afrika-Konferenz ausrichtete –, bildeten die Achse
des deutschen Kolonialismus. Eine Aufarbeitung auch der Wissensgeschichte des
Kolonialismus und ein dekoloniales Erinnerungskonzept muss diese Achse
berücksichtigen. Sinnvoll ist eine vom Bund geförderte wissenschaftliche und
erinnerungskulturelle Aufarbeitung. Bereits vor 2021 haben Bündnis 90/Die GRÜNEN
hierzu diverse Vorstöße gemacht. Seit der grünen Regierungsbeteiligung ist unter
der Federführung des Auswärtigen Amtes unter unserer grünen Außenministerin
Annalena Baerbock die Restitution entwendeter Kulturgüter – etwa mit der
Rückgabe der Benin-Bronzen – angelaufen. Die Konzepte einer feministischen
Außenpolitik und damit verbunden auch einer feministischen
Entwicklungszusammenarbeit berücksichtigen wichtige Erkenntnisse auch der
historischen postkolonialen Forschung. Denn die von Europa ausgehende
Unterwerfung des Globalen Südens war von Anfang an auch mit der Etablierung und
Festigung der Geschlechterhierarchien und Marginalisierung weiter
Bevölkerungsgruppen im Inneren und dem ‚Export‘ der hiermit verbundenen
Denkmuster verbunden. Die Ausbeutung von Frauen durch unbezahlte Care-Arbeit und
die Ausbeutung der Länder des globalen Südens sind zwei Seiten derselben
Medaille. Dass diese Zusammenhänge sichtbar werden, dass Konzepte wie
„feministische Außen- und Entwicklungspolitik“ Teil der Debatte und zur
Grundlage politischen Handels geworden sind, ist das Verdienst mutiger grüner
Frauen.
Gegenwärtig geraten – infolge der multiplen Krisen und des Erstarkens der
Rechten und der von diesen betriebenen Polarisierung und Spaltung der
Gesellschaft – auch solche Konzepte unter Beschuss. Die nötige Aufklärung ist
damit in Gefahr. Denn die Strategie der Rechten besteht wesentlich darin, Ängste
vor sozialem Abstieg, sozialer Exklusion und Ohnmachtserfahrungen auszunutzen,
um durch eine Rückbesinnung auf tradierte Rollenbilder, Vorstellungen
vermeintlich nationaler Größe und der Selbsterhebung gegenüber Minderheiten die
gesellschaftliche Solidarität auszuhöhlen.
Daher halten wir es für unabdingbar, eine offensive dekoloniale Wissenschafts-
und Erinnerungspolitik voranzubringen. Aufklärung ist – wie wir Deutsche aus der
Aufarbeitung der Nationalsozialismus gelernt haben – schmerzhaft, und zwar bis
in persönliche Familienstrukturen hinein. Dies gilt auch für die Geschichte
einer Stadt.
So verdiente Hamburg massiv am Handel mit Kautschuk, Palmöl und Kakaobohnen.Der
Baakenhafen in der HafenCity war Ausgangspunkt der Truppen, die im 20.
Jahrhundert nach Südwestafrika abfuhren. Auch Lothar von Trotha, der für den
ersten deutschen Genozid in der deutschen Geschichte verantwortlich ist, fuhr
von Hamburg aus los. Ca. 100.000 Herero und Nama wurden von deutschen Truppen
ermordet. Die Schiffe stammten vom Hamburger Kaufmann und Reeder Adolph
Woermann.
Wir sehen in einem angemessenen Umgang mit dieser Geschichte ein großes
Potenzial. Hamburg kann in der Aufarbeitung der europäischen Kolonialgeschichte
seine Funktion als‚Leuchtturm‘ ausbauen – und damit auch ein Bollwerk gegen den
gegenwärtig in ganz Europa zu beobachtenden Rechtsruck sein. Als Hamburger GRÜNE
setzen wir uns daher weiter dafür ein, die Erinnerungskulturhier in unserer
Stadt offensiv fortzusetzen und die dekoloniale Forschung in Hamburg fest zu
verankern. 2014 hat der Hamburger Senat die Forschungsstelle "(Post)Koloniales
Erbe" eingerichtet, um den Kolonialismus in Hamburg aufzuarbeiten. Die
Forschungsstelle erforscht „[…] Dynamiken, Repräsentationen, Nachwirkungen und
Kontroversen des (deutschen) Kolonialismus und der Globalisierung (oder
richtiger: der Kolonialismen und Globalisierungen) in Vergangenheit und
Gegenwart und ihre komplexen Verbindungen und Bedeutungen für postkoloniale
Gesellschaften […]" Damit leistet sie einen wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung
unserer kolonialen Geschichte. Mit einer geplanten neuen Profilinitiative zu
„(Post)Kolonialen Ordnungen“, deren Teil die Forschungsstelle ist, setzt die
Universität Hamburg diese Schwerpunktsetzung fort und bettet sie weiter
interdisziplinär ein.
Seit 2017 gibt es in Hamburg außerdem den Runden Tisch „Koloniales Erbe“, an dem
Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft gemeinsam über Strategien diskutieren.
2019 wurde dann zusätzlich ein Beirat zur Dekolonisierung Hamburg einberufen,
der aus Expert*innen aus Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Kultur, Bildung,
Medien, Soziales, Wirtschaft und Verwaltung besteht.Ein vom Beirat erarbeitetes
Eckpunktepapier wird aktuell zu einem gesamtstädtischen dekolonisierendes
Erinnerungskonzept ausgearbeitet, welches der Bürgerschaft 2024 als Drucksache
vorgelegt werden soll.
Ein zentraler Bestandteil einer postkolonial orientierten Politik ist nicht nur
der Blick und Aufarbeitung der Vergangenheit, sondern auch die Gestaltung der
Gegenwart und Zukunft. Auch in Anbetracht der gegenwärtigen Veränderungen der
globalen Weltordnung wird die hiermit verbundene Verantwortung unübersehbar:
Spätestens mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ist deutlich
geworden, dass viele Staaten im globalen Süden weniger dem Westen, sondern mit
dem Schwinden des amerikanischen Einflusses zunehmend ihren eigenen Interessen
folgen: Eine klare, ehrliche und selbstkritische Auseinandersetzung des Westens
mit der eigenen kolonialen Vergangenheit, der auch den selbstkritischen Umgang
mit den Doppelstandards bei der Durchsetzung von Werten einbezieht, würde ein
positives Signal an Staaten mit kolonialer Erfahrung senden und könnte
verhindern, dass autoritäre Staaten diese Situation ausnutzen und ihren
Einflussbereich ausbauen können. Als „Tor zur Welt“ – in einem gegenwärtigen
Selbstverständnis, das auch die dunklen Seiten der historischen Perspektive
nicht ignoriert, – hat Hamburg ein immenses Potenzial hier voranzuschreiten und
ist bereits auf dem Weg:
Hamburg hat daher die Senatsdrucksache im Jahr 2014 auch in den Rahmen der
Partnerschaft mit Dar es Salaam in Tansania gestellt. Zwischen den beiden
Städten besteht seit 2010 eine Partnerschaft, diese wurde 2022 auch nochmals
bekräftigt und vertieft. Daneben gibt es seit 1989 eine Partnerschaft zwischen
Hamburg und Léon in Nicaragua.
Die Zusammenarbeit mit Dar es Salaam findet in verschiedenen Themenfeldern
statt, insbesondere durch zivilgesellschaftliche Organisationen, die vom Senat
gefördert werden. Der Senat bringt sich teilweise aber auch über die
Senatskanzlei direkt ein, beispielsweise bei Projekten mit Mexiko-Stadt oder
auch Dar es Salaam mit dem Bund-Länder-Programm, welches vom Bundesministerium
für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) finanziert und von der
Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH aus dem GIZ
Regionalbüro in Hamburg umgesetzt wird. Dabei unterstützt Hamburg beispielsweise
über die HafenCity Universität und HamburgWasser das Starkregenwassermanagement
in einer Gesundheitsstation in Dar es Salaam. Darüber hinaus arbeitet Hamburg
auch im Bund-Länder-Ausschuss Entwicklungszusammenarbeit zu
entwicklungspolitischen Themen. Hamburg hat dabei als nur eines von vier
Bundesländern keine ausformulierten entwicklungspolitischen Leitlinien und das,
obwohl es im Vergleich zu den anderen Bundesländern viele Mittel dafür
bereitstellt. Als Bundesland hat Hamburg hier keinen ausdrücklichen Auftrag sich
zu engagieren, aber es ist wichtig, dass Hamburg seine Verantwortung ernst
nimmt, sei es bezüglich der kolonialen Vergangenheit, aber auch wegen unseres
Beitrags zur Klimakrise.
Wir begrüßen das bestehende Engagement Hamburgs ausdrücklich. Doch aus unserer
Sicht muss hier noch deutlich mehr passieren.
Seit einem Jahr gibt es auf Bundesebene das Ziel einer feministischen
Entwicklungszusammenarbeit mit einem expliziten Fokus auf eine dekoloniale
Umsetzung derselben, beispielsweise durch den aktiven Austausch mit
zivilgesellschaftlichen Expert*innen aus dem Globalen Süden Daran muss sich auch
Hamburg orientieren!
Die Forschungsstelle setzt einen solchen Ansatz in ihrer Forschung bereits seit
Jahren um, indem sie regelmäßig Forscher*innen aus Ländern des Globalen Südens
nach Hamburg einlädt, um hier zu Fragen des Kolonialismus in Hamburg und dessen
Verbindungen in die Welt zu forschen. Gerade die Universität in Dar es Salaam
spielt hier eine wichtige Rolle. Genau solche partizipativen Ansätze in einer
Partnerschaft auf Augenhöhe, insbesondere zu kritischen Themen in Hamburgs
Geschichte müssen verstärkt gefördert werden.
Wir fordern daher konkret:
- Als Grüne bekennen wir uns zur Verantwortung für die wissenschaftliche
Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit Hamburgs und wollen die
Forschung zum (post)kolonialen Erbe in Hamburg und die Kooperationen mit
dem globalen Süden stärken. Wir unterstützen unsere Senats- und
Bürgerschaftsmitglieder dabei, sich weiterhin mit Nachdruck einzusetzen
für die Fortführung und Verstetigung der Forschungsstelle „Hamburgs
(post)koloniales Erbe.
Dafür soll die Grundfinanzierung mindestens auf bisherigem Niveau erhalten
bleiben. Ergänzend sollte kontinuierlich versucht werden, Bundesmittel
einzuwerben. Wir wollen zudem, dass sich die Senats- und
Bürgerschaftsmitglieder weiterhin dafür stark machen, die Forschungsstelle
im Rahmen der geplanten Profilinitiative zum (post)kolonialen Erbe an der
Uni Hamburg sichtbar zu erhalten..
- Sichtbare Erinnerungs- und Begegnungsorte überall dort, wo deutsche
Kolonialgeschichte sich in Hamburg manifestierte (im Baakenhafen, im
Harburger Binnenhafen, u.a.m.)
- Kontextualisierung der bestehenden Denkmäler mit kolonialem Hintergrund
wie beispielsweise des Bismarck-Denkmals. Dessen kommentarlose
Restaurierung finden wir nicht akzeptabel.
- Die Verankerung von Lehrkonzepten und Lerneinheiten zum Kolonialismus in
Lehrplänen aller Hamburger Schulen und die Förderung von entsprechenden
Fortbildungen für Lehrer*innen.
- Die Entwicklung von Lehrkonzepten und Lerninhalten zur Kolonialität des
Kulturellen für die Hamburger Hochschulen (inkl. künstlerischer
Hochschulen).
- Erhöhung der bereitgestellten Mittel für Projekte in der
Entwicklungszusammenarbeit durch die Senatskanzlei und andere Behörden um
mindestens 10%, in der Senatskanzlei sollen jährlich mindestens 500.000
EUR bereitgestellt werden.
- Sicherstellung der Umsetzung einer dekolonialen Entwicklungszusammenarbeit
bei Förderung von Projekten und Umsetzung mit Partnern in Dar es Salaam
und anderen Städten, beispielsweise durch Anerkennung von kolonialen
Kontinuitäten in der Entwicklungszusammenarbeit und der historischen
Verantwortung Hamburgs für den Kolonialismus. Zudem soll die aktuell
laufende Überarbeitung der Förderrichtlinien des Senats für Projekte in
der Entwicklungszusammenarbeit sicherstellen, dass in den zukünftigen
Richtlinien ein expliziter Fokus auf eine feministische, dekoloniale
Entwicklungszusammenarbeit gelegt wird, durch die Vorgabe, dass mindestens
70% der eingesetzten Mittel auf dieses Ziel hinarbeiten, beispielsweise
durch die Anwendung gendertransformativer Ansätze oder die Unterstützung
kritischer, dekolonialer Forschung in den Partnerstädten.